Hammer-Urteil: Gericht macht einen Großteil aller Blitzermessungen im kompletten Saarland unverwertbar!

Datum

15.07.2019

Autor

GKS Rechtsanwälte

Art des Beitrags

Rechtstipp

Mit großer Spannung wurde das endgültige Urteil des saarländischen Verfassungsgerichtshofes in dieser Sache erwartet: Ein geblitzter Autofahrer hatte gegen eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes Verfassungsbeschwerde eingelegt und sich gegen die Blitzermessung gewehrt. Nun hat das höchste Gericht des Saarlandes dem Autofahrer Recht gegeben und entschieden, dass Geschwindigkeitsmessungen generell nicht verwertbar sein können, wenn Laser-Blitzer die Messdaten nicht in ausreichendem Umfang dokumentieren (Urteil vom 05.07.2019, Az.: Lv 7/17). Wir zeigen, welche weitreichenden Auswirkungen das Urteil sowohl im Saarland als auch im restlichen Bundesgebiet hat und welche neuen Verteidigungsmöglichkeiten sich für geblitzte Autofahrer eröffnen.

Der Fall vor Gericht

Ein Autofahrer aus dem Saarland wurde von einem Blitzer des Typs TraffiStar S350 vom Hersteller Jenoptik innerorts mit 27 km/h zu schnell gemessen. Kurze Zeit später erhielt der Fahrer von der zuständigen Behörde einen Bußgeldbescheid über 100 Euro und einen Punkt im Fahreignungsregister in Flensburg. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Fahrer Einspruch ein und es kam zum Gerichtsprozess. Im Rahmen des Verfahrens beantragte der Fahrer, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um feststellen zu lassen, dass das betroffene Messgerät nicht alle zur Berechnung der Geschwindigkeit notwendigen Messdaten speichere und eine genaue Überprüfung des Vorwurfs der Ordnungswidrigkeit somit gar nicht möglich sei.

Die aufgehobenen Urteile der Vorinstanzen

Zunächst verurteilten das Amtsgericht Saarbrücken und das Saarländische Oberlandesgericht den Autofahrer zur Zahlung der Geldbuße. Die Richter argumentierten in den vorangegangenen Urteilen, dass der Geschwindigkeitsverstoß bewiesen werden könne, obwohl die sogenannten Rohmessdaten vom Blitzer nicht aufgezeichnet wurden. Sie nahmen an, dass die vorhandenen Messdaten für eine Verurteilung ausreichten, da das Messgerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden sei und man somit von der Richtigkeit der Messungen ausgehen könne.

Das Urteil des saarländischen Verfassungsgerichtshofes

Das sahen die Richter am saarländischen Verfassungsgerichtshof nun allerdings anders und hoben die vorangegangenen Urteile auf. Sie entschieden nach der Anhörung von drei spezialisierten Sachverständigen, dass die wenigen Messdaten, die das betroffene Gerät TraffiStar S350 speichert, keine zuverlässige nachträgliche Kontrolle des Messergebnisses ermöglichen. Ohne den Zugang zu den Rohmessdaten könne der Betroffene die Messung nicht detailliert auf ihre Richtigkeit überprüfen. Damit verletze die Verurteilung aufgrund der beanstandeten Messung den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren und eine effektive Verteidigung.

Hintergrund: Sogenanntes „standardisiertes Messverfahren“ ist seit Jahren ein zentraler Streitpunkt

Das Problem rund um die lückenhafte Aufzeichnung von Messdaten bei vielen Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten ist seit langer Zeit bekannt. Unser Rechtsanwalt und Experte für Ordnungswidrigkeitenrecht Tim Geißler fordert zusammen mit anderen Anwälten und Gutachtern im gesamten Bundesgebiet immer wieder, dass der Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung vollständig und detailliert überprüfbar sein muss. Denn Fehlfunktionen der eingesetzten Messgeräte können – wie in der Vergangenheit schon oftmals bewiesen – grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Aktuell ist es jedoch so, dass eine Vielzahl von Messgeräten neben dem Fahrzeugfoto und der Geschwindigkeit kaum technisch verwertbare Daten abspeichern, obwohl im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung unzählige Rohmessdaten anfallen. Das Fehlen dieser Daten macht eine nachträgliche Rekonstruktion der Messung schlicht unmöglich und verhindert zu Lasten des Betroffenen im Ergebnis eine genaue Überprüfung des erhobenen Vorwurfes. Dieser Auffassung von zahlreichen Anwälten und weiteren Experten ist der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes nun als erstes hohes Gericht gefolgt.

Welche Auswirkungen hat das Urteil für Autofahrer?

Das Gericht hat nicht entschieden, was mit den betroffenen Ordnungswidrigkeitsverfahren in jedem Einzelfall zu passieren hat. Jedoch ist davon auszugehen, dass entsprechende Geschwindigkeitsmessungen im Saarland aktuell nicht mehr verwertbar sind und dazugehörige Bußgeldverfahren eingestellt werden müssen.

Gilt die Entscheidung im gesamten Bundesgebiet oder nur im Saarland?

Die Entscheidung ist zwar zunächst nur für Behörden und Gerichte im Saarland bindend, ihr kann aber durchaus bundesweite Signalwirkung zukommen. Es ist gut möglich, dass andere Gerichte in Deutschland der Auffassung des saarländischen Verfassungsgerichtshofes in Zukunft folgen werden und derartige Verfahren einstellen bzw. Betroffene freisprechen. So hat z.B. das Amtsgericht Lüdenscheid betroffene Ordnungswidrigkeitsverfahren bereits mit Verweis auf das saarländische Gerichtsurteil eingestellt.

Um welche Geschwindigkeitsmessgeräte geht es?

In dem Verfahren vor dem saarländischen Verfassungsgerichtshof ging es konkret nur um das Messgerät TraffiStar S350 der Firma Jenoptik. Das Problem der mangelhaften Abspeicherung von Rohmessdaten betrifft jedoch noch zahlreiche weitere gängige Gerätetypen wie zum Beispiel PoliScan Speed von Vitronic oder Leivtec XV3. Auch der in Deutschland mittlerweile weit verbreitete Blitzer-Anhänger weist diese Mängel bei der Messdatenspeicherung auf. Der Hersteller des im Verfahren betroffenen Gerätes will einer Konfrontation in anderen Bundesländern nun offensichtlich aus dem Weg gehen. Er hat auf das richtungsweisende Urteil bereits reagiert und ein Softwareupdate für mehr als 750 betroffene Blitzer in Deutschland angekündigt, welches in Zukunft die Speicherung aller während einer Geschwindigkeitsmessung erhobenen Daten ermöglichen soll.

Geblitzt worden? Urteil erhöht nochmals Erfolgschancen bei einem Einspruch!

Das neue Urteil stärkt alle Autofahrer, denen eine Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem der betroffenen Messgeräte vorgeworfen wird. Falls Sie von einem der betroffenen Messgeräte geblitzt worden sind, ist es jetzt oft ratsam, Einspruch gegen den erlassenen Bußgeldbescheid einzulegen und gegen die Messung vorzugehen. Mit dem neusten Gerichtsurteil sind die Chancen auf eine Verfahrenseinstellung oder gar einen Freispruch deutschlandweit überdurchschnittlich hoch.

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