Juristische Bedenken mehren sich: Ausgangsbeschränkungen in Solingen und anderen lokalen Corona-Hotspots rechtmäßig?

Datum

17.12.2020

Art des Beitrags

Rechtstipp

Seit dem 16. Dezember 2020 gelten – neben den vom Bund erlassenen neuen Regelungen zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften und Dienstleistungsbetrieben – vielerorts weitere umfangreiche Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie. In Solingen umfasst dies beispielsweise eine nächtliche Ausgangssperre von 22 Uhr abends bis 5 Uhr morgens, während welcher man sich ohne „triftigen Grund“ nicht draußen aufhalten darf. Bei einem Vergehen drohen bis zu 300 Euro Bußgeld.

Update 28.12.2020: VG Düsseldorf lehnt Eilantrag eines Solinger Bürgers ab

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat am 22.12.2020 im Eilverfahren entschieden, dass die Allgemeinverfügung der Stadt Solingen, welche die dortige Ausgangsbeschränkung regelt, rechtmäßig ist (VG Düsseldorf, Beschluss vom 22.12.2020, Az.: 26 L 2603/20). Eine Interessenabwägung führe nach dem Gericht im Endeffekt zur Angemessenheit der Maßnahme. Bei dem Verfahren handelt es sich allerdings nicht um ein Hauptsacheverfahren, bei welchem auch die formelle Rechtmäßigkeit im Detail untersucht wurde. Hier aufgeworfene Fragen zur Legitimation und formellen Rechtmäßigkeit dürften sich damit grundsätzlich weiterhin stellen. Der Beschluss ist bisher nicht rechtskräftig, gegen ihn kann noch Beschwerde eingelegt werden.

Wir untersuchen, inwieweit eine Stadt oder Kommune überhaupt die rechtliche Kompetenz besitzt, eine solche Regelung zu erlassen, ob eine derartige Anordnung im juristischen Sinne verhältnismäßig ist und zeigen, wie Sie sich im Falle eines Falles gegen ein drohendes Bußgeld wehren können.

Ausgangssperre: In Bayern und Baden-Württemberg flächendeckend, in NRW nur vereinzelt

Während in Bayern und Baden-Württemberg für das gesamte Landesgebiet bis mindestens zum 10. Januar 2021 eine nächtliche Ausgangsbeschränkung gilt, hat man in NRW von einer solchen flächendeckenden Regelung auf Landesebene bisher keinen Gebrauch gemacht. Nur einzelne Städte, wie zum Beispiel Solingen, haben die Einschränkungen des Landes noch einmal verschärft und von 22 Uhr abends bis 5 Uhr früh den Ausgang ins Freie beschränkt. Ausnahmen gelten nur für den 24.12. und den 31.12., wo die Ausgangssperre erst um 1 Uhr des Folgetages beginnt.

Allgemeine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Ausgangsbeschränkungen

Grundsätzlich regeln die §§ 28ff. des Infektionsschutzgesetzes, dass Behörden bei einer Epidemie weitreichende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in der Bevölkerung treffen dürfen. Darunter fällt auch eine Ausgangsbeschränkung, die neben weiteren konkreten Maßnahmen seit der letzten Änderung des Gesetzes im November 2020 nun auch ausdrücklich in § 28a Absatz 1 Nr. 3 IfSG als zulässige Maßnahme Erwähnung findet.

Verwaltungsgericht äußert Bedenken: Sind Städte überhaupt zum Erlass von Ausgangssperren legitimiert? 

Zwar haben Gerichte schon mehrfach entschieden, dass das generelle Einführen einer Ausgangsbeschränkung zulässig ist. Fraglich ist hier allerdings, ob die einzelnen Städte und Kommunen eine Ausgangssperre durch den Erlass einer sogenannten Allgemeinverfügung auf kommunaler Ebene verhängen dürfen.

Erst vor wenigen Tagen äußerte sich das Verwaltungsgericht Karlsruhe genau dazu kritisch: Allgemeinverfügungen seien womöglich das falsche juristische Instrumentarium für derartig weitreichende Einschränkungen. Bei einer drastischen Verschärfung der Corona-Auflagen seien die Grenzen für den Erlass einer Allgemeinverfügung wohl überschritten, mahnten die Verwaltungsrichter. Denn eine Allgemeinverfügung müsse insgesamt einen "hinreichend (...) abgegrenzten" Sachverhalt regeln. Grundsätzlich seien Ausgangsbeschränkungen zwar rechtlich unproblematisch, man müsse für den Erlass aber das korrekte juristische Mittel wählen. Das richtige Mittel sei allerdings keine Allgemeinverfügung, sondern vielmehr der Erlass einer Rechtsverordnung, zu welcher die Stadt kompetenziell jedoch nicht befugt sei. Zahlreiche Städte und Landkreise setzten nach der Mitteilung des Gerichtes in Karlsruhe den Erlass weiterer Allgemeinverfügungen bis auf weiteres aus, um sicherzustellen, dass entsprechende Verfügungen auch vor Gericht bestand haben.

Die Stadt Solingen und andere Gemeinden in NRW zeigten sich zuletzt allerdings unbeeindruckt von den kürzlich hervorgebrachten juristischen Bedenken. Es ist daher gut möglich, dass derartige Allgemeinverfügungen in NRW von den zuständigen Gerichten bald ebenfalls kritisch untersucht und ggf. zeitnah außer Kraft gesetzt werden.

Frage der Bestimmtheit: Sind die Regelungen zur Ausgangsbeschränkung konkret genug?

Auch die Bestimmtheit der durch die Stadt getroffenen Allgemeinverfügung ist problematisch. So muss eine Regelung generell für den Bürger stets hinreichend klar gestaltet sein, damit dieser weiß, woran er sich genau zu halten hat - und auch die Verwaltung muss verstehen können, was sie überhaupt zu vollziehen hat. Genau diese Punkte sind bei der von der Stadt Solingen erlassenen Allgemeinverfügung jedoch alles andere als eindeutig: Diese sieht beispielsweise vor, Ausnahmen von der Ausgangssperreaus gewichtigen Gründen“ zuzulassen. Zwar werden in der Allgemeinverfügung Beispiele für solche wichtigen Gründe genannt (Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, Inanspruchnahme medizinischer Versorgung oder Ausführen von Haustieren); die Formulierung „insbesondere“ verdeutlicht aber, dass diese Aufzählung keineswegs abschließend ist. 

Die Regelung wirft somit zahlreiche Fragen auf. Zwei Beispiele: Darf der Lebenspartner einen beim Spaziergang mit dem Hund zu später Stunde begleiten? Darf man auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause noch ein Umweg in Kauf nehmen? All das ist bisher völlig unklar und im Zweifel wird man bei einer Kontrolle gegenüber einem Beamten glaubhaft machen müssen, dass man einen solchen „gewichtigen Grund“ hat, um nach 22 Uhr noch unterwegs zu sein. Der Fantasie sind hier, ebenso wie dem Ermessen des kontrollierenden Beamten, aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der Vorschrift kaum Grenzen gesetzt. 

Verhältnismäßigkeit der Ausgangsbeschränkung: Sind die Maßnahmen angemessen?

Neben den Zweifeln und Fragen zur juristischen Legitimation und der Bestimmtheit der Ausgangsbeschränkung stellt sich auch die allgemeine Frage der Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme. Immerhin handelt es sich bei einer Ausgangsbeschränkung um einen tiefgreifenden staatlichen Grundrechtseingriff, der stets gerechtfertigt sein muss. 

Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausgangssperre können der Inzidenzwert und die weiteren aktuell geltenden Einschränkungen in der jeweiligen Region sein. In Solingen müsste man sich allerdings beispielsweise die Frage gefallen lassen, welche konkrete Zielsetzung die verhängte Ausgangssperre verfolgt. Denn zwischen 22 und 5 Uhr halten sich – gerade in den Wintermonaten – ohnehin kaum Menschen im Freien auf, sodass die konkreten Auswirkungen der Ausgangsbeschränkung auf den Infektionsverlauf in der Klingenstadt eher zweifelhaft sind. Es stellt sich somit die Frage, ob diese Maßnahme überhaupt zur Senkung der Infektionszahlen geeignet ist.

Die abschließende Bewertung, ob eine Ausgangsbeschränkung in einem konkreten Fall, wie zum Beispiel in Solingen, verhältnismäßig ist oder nicht, kann allerdings nur ein Gericht vornehmen. Die zuständigen Verwaltungsrichter berücksichtigen in einer Entscheidung alle relevanten Informationen und wägen die Argumente für und gegen die Verhältnismäßigkeit im konkreten Fall ab.

Bußgeld wegen angeblichen Verstoßes gegen die Ausgangsbeschränkung: Das können Sie tun!

Bei einem Verstoß gegen die Regeln der Ausgangbeschränkung droht zumindest in Solingen ein happiges Bußgeld in Höhe von 300 Euro. Abgesehen von allen übrigen juristischen Bedenken können sich Betroffene unter Umständen die Unbestimmtheit der städtischen Allgemeinverfügung zu Nutze machen: Im Falle eines vorgeworfenen Verstoßes lassen sich auch im Nachhinein noch verschiedene Begründungen anführen, die auf das Vorliegen eines „gewichtigen Grundes“ und damit eine Ausnahmeregelung hinauslaufen. 

Verstoß gegen Corona-Regeln: Rechtsanwalt prüft Bußgeldbescheid 

Wird Ihnen in lokalen Corona-Hotspots mit Ausgangsbeschränkung (z.B. in Solingen) ein Verstoß gegen diese städtische Verfügung vorgeworfen, kann ein erfahrener Rechtsanwalt oftmals dabei helfen, gegen einen Bußgeldbescheid anzugehen und Ihren persönlichen Fall detailliert zu prüfen. Die neue Allgemeinverfügung der Stadt Solingen bietet bereits zahlreiche Anknüpfungspunkte und juristische Schwachstellen für eine gelungene Verteidigung. Unser Rechtsanwalt Daniel Junker hat sich mit den Regelungen zur Ausgangbeschränkung in Solingen und Umgebung genau auseinandergesetzt und hilft Ihnen gerne weiter, wenn Sie ein Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen eine der zahlreichen Auflagen im Rahmen der Coronavirus-Pandemie erhalten. Schildern Sie uns Ihren Fall direkt über unsere unverbindliche Online-Beratung, schreiben Sie uns eine E-Mail oder rufen Sie uns einfach an!

Daniel Junker

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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